Vom digitalen Helfer zum Verräter

Das höchstrichterliche Urteil zum Umgang mit Abtreibungen in den USA schlägt weltweit hohe Wellen. Nicht nur, dass damit ein nun bereits seit mehreren Jahrzehnten geltendes und gelebtes Recht der Frauen über ihren eigenen Körper plötzlich einkassiert wird. Das für sich genommen, ist gesellschaftspolitisch ein enormer Rückschritt. Die individuellen Konsequenzen für das Leben der einzelnen Schwangeren wiegen dagegen aber viel gravierender. Als wäre das nicht genug, unterscheidet sich jetzt auch noch die Rechtslage in den einzelnen Bundesstaaten fundamental, so dass keine Gleichbehandlung besteht. Eine Frau in Texas wird für einen Schwangerschaftsabbruch bestraft, während eine andere in New York straffrei bleibt. Zudem besteht auch noch Rechtsunsicherheit, da die einzelnen Gesetze anders gefasst sind und sich Strafmaß und Kriterien unterscheiden. So werden einige Staaten absolute Nogo-Areas für Schwangere mit Abtreibungswunsch und andere zu Zufluchtsorten. Nur kann man sich leider nur bedingt aussuchen, in welchem Staat man wohnt und steht im Zweifel als ungewollt Schwangere vor dem Problem, wie man den Abtreibungswunsch bzw. die Umsetzung verbirgt, um nicht strafbar zu werden.

Wie das eigene Online-Verhalten damit zusammenhängt

Und hier wird es in der heutigen Welt so richtig kompliziert. Neben Angehörigen, Klinikpersonal oder nahen Bekannten, die einen denunzieren könnten und immer noch der häufigste Grund für Anzeigen sind, gibt es heutzutage durch die Verlagerung nahezu sämtlicher Lebensbereiche in die Digitalwelt noch zahlreiche andere Quellen, die einen verraten können. Jetzt tritt das Szenario ein, vor dem Datenschützer schon seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten, warnen: Das einem seine eigenen Digitale Fußspuren und der unbesorgte Umgang mit persönlichen Daten im Online-Bereich zum Verhängnis werden können. Was bisher immer nur eine abstrakte Gefahr und Warnung war, wird jetzt innerhalb von kurzer Zeit bittere Realität. Erst kürzlich wurde bekannt, dass Meta (Mutterkonzern u.a. von Facebook, Whatsapp & Instagram), Polizeibehörden Facebook-Chatverläufe einer 17-Jährigen zur Verfügung gestellt hat, die jetzt dazu verwendet werden, um gegen das Mädchen wegen illegaler Abtreibung zu ermitteln (siehe z.B. hier bei Spiegel)

Medien berichten nun davon, dass amerikanische Frauen massenhaft ihre Zyklus-Apps löschen. Die Daten aus diesen Apps, die helfen sollen, den Zyklus zu beobachten und eher unscheinbar wirken, können vor Gericht gegen einen verwendet werden, um eine abgebrochene Schwangerschaft (z.B. Wiedereinsetzen der Periode nach mehrmonatigem Ausbleiben) nachzuweisen. Nur bringt das Löschen der App wirklich etwas? Mit dieser Frage setzt sich auch die Electronic Frontier Foundation (EFF) in einem Artikel auseinander. Das ist die Datenschutzvereinigung, die auch den digitalen Fußabdruck-Scanner bereitstellt, den ich vor einiger Zeit verlinkt hatte.

Die kurz zusammengefasste Antwort ist: Begrenzt. Erstens weiß man nicht, mit wem die App die bereits erhobenen Daten bereits geteilt hatte. Zweitens gibt es noch zig andere digitale Datenquellen, die zusammengefügt ein Bild über eine Person nachzeichnen könnten. Nicht nur weiß Google über den Playstore, welche Apps man wann nutzt, sondern auch wo man sich wann wie lange aufhält. Über die Ad-IDs der einzelnen Smartphones (nicht die Telefonnummer) können Werbetreibende auf die Informationen der App-Nutzung, Standorte, Zeitpunkte etc. zugreifen und diese Daten aggregieren.

Auch die Mozilla Stiftung hat in ihrer letzten Studie einige Schwangerschafts- und Zyklustrackingapps genauer unter die Lupe genommen. Wer möchte, findet auf der Subseite „Privacy not included“ Informationen zur Datenerhebung und -übermittlung einiger Apps. Die Seite ist zwar auf Englisch, bietet aber auch Informationen zu anderen Apps und Anwendungen.

Neben der reinen App-Nutzung verrät auch der Aufenthaltsort viel über den Handybesitzer

So schrieb das Tech-Magazin Motherboard bereits im Mai – also vor dem Urteil -, dass sie für 160$ Bewegungsdaten von Handys, die sich zeiweise bei einer von 600 Planned Parenthood-Einrichtungen aufhielten, über einen Zeitraum von einer Woche beim Datenhändler Safegraph kaufen konnten. In diesen Einrichtungen werden auch Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Trotz anonymisierter Ad-Id kann unter Zuhilfenahme anderer Datentypen (z.B. Handytyp, spezifisch genutzte Apps, Kommunikation mit anderen…) und etwas Aufwand der eigentliche Handybesitzer ausfindig gemacht werden.

Dass die Daten von Abtreibungsgegnern genutzt werden, um Schwangerschaftsabbrüche zu ahnden, darf als sicher gelten; bereits 2021 wies das Magazin Motherboard darauf hin, dass das katholische Magazin The Pillar einen schwulen Priester outete, indem es seine Nutzung der Dating-App Grindr und den Aufenthalt in Schwulenbars veröffentlichte.

Safegraph hat mittlerweile mitgeteilt, keine Daten zu den Planned Parenthood-Einrichtungen mehr zu verkaufen. Und auch Google verkündete, Standortdaten in der Nähe von medizinischen Einrichtungen nicht mehr speichern zu wollen (siehe SZ-Artikel). Das hält sie aber nicht davon ab, in anderen Bereichen weiter Daten zu sammeln.

Damit wären wir schon beim nächsten Gefahrenbereich: Dem Suchverlauf! Wie ich schon im Beitrag Vermessung der Gesellschaft berichtet habe, hat das Kunstprojekt Laokoon mithilfe eines gespendeten Datensatzes einer jungen Frau mehr oder weniger ihr ganzes Leben nachzeichnen können. So wusste Google aus den Suchanfragen von der Schwangerschaft der Frau und konnte diese Information als Teil ihres Werbeprofils (z.B. für Baby-Sachen) verkaufen. Es bleibt fraglich, ob Google diese Daten nun für sich behält und auf die Einnahmen verzichtet. Theoretisch könnte der Suchverlauf aber in einem Prozess eingefordert werden. Big Brother is watching you und das hat reale Konsequenzen für das Leben.

Das Kommunikationsverhalten wird sich ändern und damit die Demokratie

Neben Apps und Suchverläufen ist natürlich auch die Kommunikation ein Thema. Schwangeren wird jetzt geraten, Vorsicht walten zu lassen, mit wem sie über welches Medium diesbezüglich kommunizieren. Und das im „land of the free“. Für mich fühlt sich das eher nach dem Gegenteil von Freiheit an und erinnert ein wenig an die DDR. Aus Angst vor der Stasi musste damals immer überlegt werden, mit wem man, wo, was bespricht. Und die DDR wird rückblickend nicht als Demoktratie bezeichnet.

Während man nicht verhindern kann, dass eine Vertrauensperson eine Information gegen einen verwendet, kann man bei der Kommunikation zumindest versuchen, Dritte außen vor zu lassen. Die meisten Messenger bieten End-to-End-Verschlüsselung, die auch genutzt werden sollte. Zudem sollte das automatische Löschen älterer Nachrichten aktiviert sein. Für den Email-Verkehr bietet sich die PGP-Verschlüsselung an, die allerdings ein wenig aufwendiger zu installieren ist. SMS, ungeschützte Emails und nicht verschlüsselte Telefonate sind damit zu meiden.

Wer noch immer der Meinung ist, Datenschutz sei nur ein Spleen technophober Menschen und für einen selbst nicht relevant, wird nun eines Besseren belehrt. Der sorglose Umgang mit den eigenen Daten im Netz kann sich als Boomerang erweisen und einen auch im realen Leben stark in der persönlichen Lebensführung einschränken. Neben der sowieso schon zweifelhaften Nutzung der persönlichen Daten zu Werbezwecken bzw. dem Bonitätsscoring, bergen Rechtsveränderungen und auch Datenlecks die nicht mehr wegzudiskutierende Gefahr, dass der digitale Fußabdruck die reale, analoge Souveränität und den persönlichen Handlungsspielraum stark einschränken.

Warnungen helfen nur, wenn sie zu einer Änderung des eigenen Nutzungsverhaltens führen

Auch wenn ich bereits in einigen Beiträgen auch über die Gefahr einer Zweckentfremdung einmal erhobener Daten geschrieben habe (u.a. zu den Corona-Apps, zur konstanten Ausweitung der Datenspeicherung oder zu den Versprechungen der Digitalbranche eines einfachen und sorgenfreien Lebens) und die Thematik auch ein Fokus des Blogs ist, hätte ich nie gedacht, dass es so plötzlich passiert. Vielmehr dachte ich, dass es eher einem schleichenden Prozess gleicht und sich die Menschen langsam daran gewöhnen. Das was jetzt passiert, ist allerdings so real und radikal, dass einige nun aufgeschreckt wurden.

Nun helfen als Abwehrmaßnahmen nur – so weit es überhaupt möglich ist – alternative Dienste zu nutzen (eine unvollständige Liste von Softwarealternativen findet sich hier). Aber auch dabei besteht die Gefahr, dass Daten abgegriffen werden. Es bleibt dabei: Am Besten hilft immer noch – so altbacken es auch klingt – die Datensparsamkeit! Es muss nicht alles, was technisch möglich ist, digital erledigt werden. Wo es keine Daten gibt, kann auch nichts gehackt oder für andere, als die ursprünglichen Zwecke verwendet werden. Und natürlich muss sich jeder auch genauer informieren, welche Daten bei welchem Dienst überhaupt erhoben werden. Jeder sollte vor der Nutzung digitaler Dienste abwägen, welchen (Mehr-)Nutzen er im Vergleich zu den dafür bereitgestellten privaten Informationen erhält. as kleine Häkchen zur Bestätigung der Datenschutzbestimmung ist schnell geklickt, die Folgen können aber langfristig Auswirkungen auf das reale(analoge) Leben haben, die nicht unbedingt immer positiv sind.

In diesem Sinne: Nun ist das passiert, wovor viele Datenschutz- Organisationen seit Jahren warnen. Die Rechtslage wurde verändert und nun sind vormals legale Tätigkeiten auf einmal strafbar. Bisher unbedacht geteilte Privatinformationen im Onlinebreich können einem nun zum Verhängnis werden, lassen sich jedoch nicht mehr aus der Welt tilgen. Apps zu löschen, hilft zwar die zukünftige Datensammelei einzugrenzen. Dennoch sammeln Smartphones und Browser noch unzählige weitere Datenpunkte, die munter weiter geteilt werden. Es führt kein Weg daran vorbei, sich mit seinem Nutzungsverhalten im Online-Bereich auseinanderzusetzen und sich Gedanken zur eigenen digitalen Souveränität zu machen. Daneben gilt nach den neuesten Entwicklungen in den USA für den Umgang mit Digitaldiensten umso mehr: Datensparsamkeit ist der beste Schutz!

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