Datensilos schaden nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der Wirtschaft

Facebook ist eins, Amazon und Google sowieso. Apple nicht zu vergessen und natürlich viele Firmen der Plattform-Ökonomie. Alle diese Firmen bieten Ihre Services an und sammeln dabei Unmengen von Daten ihrer Kunden und Partner in eigenen „Datensilos“. Selbstverständlich tun sie das nicht, um diese Daten dann allen bereitzustellen, sondern diese ausschließlich für ihre eigenen Zwecke zu verwenden. Dabei geht es zumeist nicht um die Abwicklung von Käufen oder anderen Daten, die notwendig sind, um Geschäftsvorgänge abzuwickeln. Vielmehr geht es um das Verhalten von Menschen, ihren Austausch untereinander, ihre Bewegungsprofile (lassen sich z.B. gut über GPS, Wifi und Logins nachvollziehen) und ihre Vorlieben.

Es herrscht eine ganz andere Logik als im analogen Leben

Man stelle sich vor, ein Kaufhausverkäufer würde bei jedem Besuch mit einem Handzettel hinter einem herlaufen und aufschreiben, was man wie lange anschaut, in welcher Stimmung man ist und was schlussendlich gekauft wurde. Zudem natürlich, zu welchen Zeiten man einkauft und was man sonst noch so bei sich hat bzw. wie man gekleidet ist. Und dann würde man bei zukünftigen Besuchen just in dem Moment, in dem man das Kaufhaus betritt, gewisse Produkte, die man schon einmal gekauft hat, direkt am Eingang finden, der Rest wäre irgendwo im Geschäft verteilt und müsste gesucht werden. Absurde Vorstellung, so funktioniert es aber grob vereinfacht. Und das wäre jetzt nur der Shopping-Bereich. Dazu gibt es noch zahlreiche weitere Lebensbereiche, die ähnlich analysiert würden. Im Falle von Facebook zum Beispiel, über was man sich mit wem austauscht.

Ideal für die meisten Plattformen: Sie müssen „gar“ nicht viel tun; die Daten generieren die Nutzer ohne Bezahlung. Dafür ist es umso wichtiger, möglichst schnell DIE Plattform für den angedachten Marktbereich zu werden und einen möglichst nutzerfreundlichen und unkomplizierten Service zu bieten. Aufgrund der Netzwerkeffekte kommen ab einer kritischen Größe die Nutzer dann von alleine. Auch hier wäre im analogen Leben eine natürliche Barriere, alleine schon, weil eine große Menschenmenge sehr viel Plätz bräuchte. Und damit die Daten möglichst umfangreich sprudeln, gilt es, künstliche „Lock-ins“ – also Barrieren, die das Wechseln erschweren – zu schaffen, damit die Nutzer möglichst viel ihrer Zeit auf der eigenen Plattform verbringen.

Was sind die Konsequenzen?

Nun gut, selber schuld wer mitmacht, könnte man denken. Inzwischen haben allerdings einige Firmen eine derartig mächtige Position erreicht, dass man an ihnen nicht vorbeikommt. Die Corona-Krise und Lockdowns haben die digitalen Plattformen als meist einzig mögliche Interaktions- und Einkaufsmöglichkeit noch alternativloser gemacht. Zudem kommt, dass viele der Firmen mit ihren gigantischen Kapitalvermögen inzwischen auch in andere Bereiche vorgedrungen sind und so teilweise im Digitalbereich überall in irgendeiner Form „drinstecken“. Das Fintech Klarna ist gerade auf dem Weg dazu, die Alles-in-Einem-App zu werden: Shopping-Marktplatz, Konto, Zahlungsdienstleister. So wird man in Zukunft beim Online-Shopping wohl nicht mehr ohne deren Dienste einkaufen können; auch wenn man nicht direkt über die kauft. Und als Händler wird es in Zukunft umso wichtiger, auch auf diesem Marktplatz vertreten zu sein; die Preise dafür könnte Klarna dann frei bestimmen.

Nicht nur diese Rolle als Gatekeeper hat erheblichen Einfluss auf die Gesellschaft, sondern auch die riesigen Datensilos, die diese Firmen anhäufen und die im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung immer weiter wachsen werden. Diese Daten sind das Eigentum der jeweiligen Firma und werden natürlich nur von dieser verwendet bzw. ausschnittsweise gegen Gebühren an andere zur Nutzung vermietet. Dabei gehören die Daten in vielen Fällen eigentlich allen. Was das für die einzelne Person bedeuten kann, habe ich schon im Beitrag „Vermessung der Gesellschaft“ beschrieben.

Besonders problematisch werden Datensilos, wenn es um Themen wie Gesundheit oder Infrastruktur/Mobilität geht. Wenn diese Daten nur bestimmten Firmen vorbehalten sind, hemmt das Innovationen zum Wohl Aller. Barcelona – eine Vorzeigestadt in Sachen Digitalisierung – ist damals konsequent den Weg gegangen, alle Daten in der smart City (z.B. die Verkehrsströme) in einem offenen Ökosystem zu sammeln, so dass verschiedene Akteure darauf zu greifen können und die Daten in Bürgerhand bleiben. Dieser Ansatz wird aber längst nicht überall in Europa beherzigt geschweige denn, dass es einen klaren Fahrplan dafür gäbe.

Die Regulierer planen Eingriffe, die Zeit drängt

Immerhin die „Gatekeeper“-Rolle mancher Firmen wird inzwischen als politisches Problem eingestuft. So möchte die EU mit den Digital Markets Act (DMA) Plattformen ab einer gewissen Größe zwingen, die zugrundeliegenden Algorithmen von außen überprüfbar zu machen und einen offenen Zugang für jeden ermöglichen (siehe z.B. hier). In Amerika plant die Wettbewerbsbehörde, die Kartellregeln so abzuändern, dass nicht nur dann ein Kartell besteht, wenn die Preise für die Verbraucher dadurch höher werden. Vielmehr soll die marktbeherrschende Stellung durch einen weiteren Kriterienkatalog festgestellt werden, bei dem im Gegensatz zum jetzigen Vorgehen nicht nur die Auswirkungen auf die Verbraucher, sondern auch auf andere Firmen berücksichtigt werden sollen (siehe hier). Ich hatte dazu schon unter Digitale Zeitenwende“ geschrieben.

Mit derartigen Maßnahmen soll die Macht der Plattformen eingehegt werden. Doch es bleibt abzuwarten, ob dies gelingt und die Zeit spielt gegen die Regulierer. Wenn den großen Tech-Firmen der geplante Schritt in das Metaversum mitsamt ihrer Nutzer gelingt, dann gelten sowieso ganz andere Bedingungen. In einer virtuellen Realität gibt es keine staatliche Souveränität und somit auch keine staatlichen Gesetze bzw. parlamentarische Kontrolle. Es kann also frei agiert werden. Hierzu gibt es ein interessantes Interview mit einem Philosophen in der taz.

Rückbesinnung auf die Ursprünge des Internet und neue Ansätze

Es bleibt also bis zu neuen Regelungen, dass gerade bei neuen noch nicht durchdigitalisierten Bereichen neue Datensilos vermieden werden sollten. Das hilft der ganzen Gesellschaft und auch dem Wirtschaftsbereich der Datenökonomie. Denn nur durch Austausch finden Weiterentwicklungen statt und haben auch kleinere Firmen eine Chance den Riesen-Datenkonglomeraten etwas entgegen zu setzen. In der Wissenschaft gilt dieses Prinzip des Wissensaustausch schon länger und auch in den Anfängen des Internet waren Themen wie Netzneutralität, Open Standards und Datensouveränität noch gelebte Realität. Genau aus dem Grund des Austauschs wurde das Internet überhaupt erst erfunden; Menschen sind eben soziale Wesen, die sich austauschen möchten.

Diese Werte gilt es wieder zu erlangen und den Ausbau bestehender Datensilos zu unterbinden. In der EU ist zu diesem Zweck der neue Data Governance Act (DGA) auf den Weg gebracht worden, um den Datenaustausch mittels Standardsetzung, Sicherheitsmechanismen und der Bereitstellung von Zugangspunkten (APIs) zu erleichtern. Dabei verfolgt das Gesetz aber primär das Ziel, die Datenökonomie zu stützen, als Verbraucherrechte im Digitalbereich zu stärken. Die Bürgerrechtsorganisation Edri hätte sich daher gewünscht, personalisierte Daten nicht in das DGA aufzunemen, da das primäre Ziel die wirtschaftliche Verwertung von Daten sei. Edri betonte, dass für personalisierte Daten die DSGVO und die ePrivacy-Regelungen gelten und durch die Berücksichtigung dieser Daten in verschiedenen Richtlinien Konflikte in der Rechtsauslegung entstehen können. Immerhin die Aspekte des Datenschutzes wurde mit berücksichtigt.

Auch die neue Ampelregierung hat sich auf einige Punkte aus der Internet-Entstehung rückbesonnen und in ihrem Koalitionsvertrag einige digitale Verbesserungen für Bürger, Staat und Firmen auf ihre Agenda geschrieben (Stichworte sind u.a. Digital Souveränität, Interoperabilität, Open Source, Open Data, Gatekeeper-Regulierung …). Das stimmt hoffungsvoll.

Ebenso interessant finde ich den Ansatz des Vereins SINE Foundation. Mit mathematischen Verfahren (Secure Multi-Party Computation (MPC)), die aufgrund der hohen Rechenkapazität in den Endgeräten inzwischen schnell berechenbar sind, wollen sie einen Datenaustausch ohne zentralen Gatekeeper (und dessen Datensilos) ermöglichen. Die Daten sollen dabei derart pseudonymisiert werden, dass eine Rückverfolgung nicht möglich ist (jeder Nutzer bleibt im Besitz eines zentralen Datenschnipsels ohne den die Daten nur Zahlensalat sind). So könnten auch sensible Daten für konkrete Zwecke ausgetauscht werden wie z.B. zur CO2-Emmissionsberechnung einer Branche ohne dass einzelne Firmen Angst haben müssten, identifiziert zu werden. Eine zentrale Speicherung der Datensätze der Teilnehmer wäre dafür nicht nötig, da die einzelnen Datensätze nicht aussagekräftig sind, sondern nur in Kombination mit dem eigenen, privaten Schnipsel.
Das ganze Prinzip basiert auf Kooperation, sobald ein Teilnehmer aussteigt, funktioniert es nicht mehr. Dafür gäbe es keinen zentralen Datenhandler in der Mitte. Insgesamt ein guter Ansatz, wie ich finde, um den Datenaustausch auch ohne neue Regulation datensparsam und ohne neue Datensilos zu ermöglichen.

In diesem Sinne: Die Macht der großen Datenkonzernen hat viele Facetten. Das ungehemmte Sammeln von Daten über alles und jeden ist eines davon. Abgespeichert in riesigen Datenbanken, die abgeschirmt sind vor dem Zugriff von anderen und der Gesellschaft bietet die Analyse dieser Daten enorme Wettbewerbsvorteile, die die Gatekeeper gerne einsetzen. Zudem verhindern diese Datensilos die Entstehung neuer Innovationen und Chancen für kleinere Firmen, denn dafür wäre Austausch nötig. Inzwischen stört sich auch die Politik daran und versucht mit neuen Gesetzen und einer geänderten Agenda einen Teil der Datenautonomie zurückzuerlangen. Dazu kommen neue Ansätze aus der Zivilgesellschaft, die einen fairen Datenaustausch unter Wahrung der eigenen Datensouveränität ermöglichen wollen.

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