Im Schafspelz der Corona-Eindämmung

Vor knapp 6 Wochen habe ich in meinem Beitrag „Orwellsche Realitäten“ in einem kleinen Exkurs bereits darüber geschrieben, dass China bei der Bekämpfung der (damals noch im Anfangsstadium) befindlichen Corona-Pandemie auch stark auf sein flächendeckend eingesetztes Gesichtserkennungssystem setzte.

Zur Erinnerung: In China hängen im öffentlichen Raum überall Kameras, die im Normalfall dazu bestimmt sind, die Bevölkerung auf Schritt und Tritt zu überwachen, das Verhalten der Bürger zu bewerten und über ein soziales Punktesystem für alle sichtbar zu machen. Natürlich können dadurch auch Straftaten eher aufgeklärt werden, das ist sozusagen der Beifang bei einem so engmaschigen Netz, allerdings schränkt es natürlich auch die Bewegungs-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit jedes Einzelnen ein.

Heute haben wir die Corona-Pandemie, alle Nachrichten sind voll davon, jeden Tag gibt es neue Nachrichten zur Ausbreitung des Virus. Dazu kommen immer weitere Einschränkungen des bisher bekannten öffentlichen Lebens und massive Veränderungen in der Gestaltung von Arbeitsprozessen (auf einmal reden alle von Homeoffice, was vorher von einigen Firmen als Faulenzen auf Arbeitgeberkosten abgetan wurde). Das dient alles der Verringerung möglicher Verbreitungswege und hat sicherlich seine Berechtigung; wobei man über die Notwendigkeit dieser Drastik auch diskutieren kann (hier z.B. ein Artikel über Südkorea, wo sie bisher auch mit weniger drastischen Mitteln gut fahren). Auch, dass das Coronavirus wahrscheinlich schon viele erfasst hat (die ersten Berichte aus China kamen im Dezember), ist in Anbetracht der aktuellen Entwicklung sicherlich diskussionswürdig.

Um diese Abwägung soll es hier aber nicht im Detail gehen. Solange es die Zahl der Neuinfektionen verringert und dem arg auf Kante genähten Gesundheitssystem Zeit verschafft, erfüllt es seinen Zweck.

Interessanter finde ich vielmehr, dass jetzt wieder einige Vorstöße kommen, in denen behauptet wird, dass eine wirksame Eindämmung des Coronavirus an dem „viel zu strengen“ Datenschutz in Deutschland scheitern würden. China hat jetzt öffentlichkeitswirksam die Überwindung des Corona-Peaks verkündet und schickt die Beschäftigten wieder in die Fabriken. Ob die Ansteckungsgefahr wirklich schon so niedrig ist, wie dort angenommen, wird erst die Zeit zeigen. Dennoch empfiehlt China anderen Ländern weltweit sich ein Beispiel an ihrer Eindämmungspolitik zu nehmen, die ja zum jetzt erreichten Erfolg geführt habe. Das würde für uns komplette Abriegelung von Regionen , automatische Erkennung und Verfolgung von Verdachtsfällen, Isolation Kranker und natürlich die computergestützte Überwachung der Einhaltung der Regeln bedeuten.

Vergangene Woche überlegte das RKI, ob es nicht sinnvoll sei Handydaten zu nutzen, um Bewegungsprofile der Bürger zu erstellen und damit mögliche Kontaktpfade zu bereits bekannten Infizierten herstellen zu können (siehe unter anderem hier). Das spräche wiederum für die Vorratsdatenspeicherung, damit man im Nachhinein sämtliche Daten aller Handy-/Internetnutzer und Reisenden rückverfolgen kann. Auch wenn ich das Grundanliegen des RKI verstehe, möglichst schnell möglichst viele Infizierte und potentiell Infizierte ohne zeitaufwändige und fehleranfällige Personenbefragungen identifizieren zu können, ist es meiner Meinung nach unverhältnismäßig, sämtliche persönliche Schutzrechte dafür hintenanzustellen.

Davon abgesehen, dass wahrscheinlich schon viele Personen infiziert sind oder waren, aber aufgrund der aktuellen Risikoklassifikation nicht getestet werden. Um abschließende Sicherheit zu haben, müssten sowieso alle potentiell Verdächtigen getestet werden, ob durch Bewegungsprofile oder auf anderem Weg ermittelt. Mit unserem heutigen Lebensstil und den vielfältigen beruflichen und privaten Reisen, werden bei den meisten Menschen örtlich-zeitliche Überschneidungen mit Infizierten oder Bekannten von Infizierten feststellbar sein. Es ist also die Frage, welcher Mehrgewinn (außer eventuell weniger Kosten und Schnelligkeit), durch Nutzung von Handydaten und den automatischen Zugriff auf Reisedaten erreicht wird.

Vom RKI abgesehen, gibt es auch Firmen, die jetzt eine Chance sehen, den in ihren Augen unnötigen Datenschutz zu diskreditieren. Die FAZ berichtet in einem Artikel (der in meinen Augen eher tendenziös geraten ist), dass eine Untersuchung ergeben hätte, dass die Deutschen bereit sind, auf Datenschutz zu verzichten, um das Coronovirus zu stoppen. Es ist das eine, dass die Untersuchung von einer Firma in Auftrag gegeben wurde, die ihr Geld damit verdient, Websites durch Software für die Cookie-Auswahl das Tracking rechtssicher zu erlauben. Das andere ist die Art der Fragen an sich: Diese suggerieren, dass die Eindämmung des Virus und der Schutz der eigenen Gesundheit mit den bisherigen Mitteln nicht möglich wäre.
Daher ergeben die Antworten der Menschen auch, dass sie bereit wären für Vorratsdatenspeicherung, der Übermittlung von Gesundheitsdaten und den Aufbau von spezifischen Datenbanken. Zustäzlich kommt dann interessanterweise noch eine Frage zu Social Media Daten, die für die akute Gesundheitsvorsorge eher am Rande relevant sind.

Dabei stimmt die Grundaussage gar nicht: Die Datenschutzgrundverordnung (siehe Art. 6 Abs. 1 DSGVO) sieht zahlreiche Möglichkeiten vor, Daten zu erheben, um etwa das Leben zu schützen (das Eigene oder Anderer) oder Behörden Zugriff auf bestehende Daten zu geben, um eine Aufgabe zu erfüllen, die im öffentlichen Interesse liegt (z.B. Infektionsschutz nach Infektionsschutzgesetz).

Es kann also mit den bisher erhobenen Daten schon viel im Kampf gegen Corona erreicht werden, man muss keine neuen Datenzugriffsrechte etablieren (auch wenn einige das gerne täten). Flug- oder Bahnreisende, zum Beispiel, auf deren Reise ein Verdachtsfall oder bestätigter Infizierter mitgereist ist, haben jetzt schon die Verpflichtung eine sog. Aussteigekarte mit ihren Daten auszufüllen, sodass die Gesundheitsämter im Zweifel weitere Maßnahmen veranlassen können (z.B. Quarantäne anordnen). Dazu müssen nicht sämtliche Daten aller Bürger durchleuchtet werden.
Inzwischen sah sich auch der Bundes-Datenschutzbeauftragte genötigt klarzustellen, dass Datenschutz und die Bekämpfung von Corona sich nicht im Wege stehen (Siehe hier). Für Firmen gibt es auch eine kleine Übersicht zum Umgang mit Mitarbeiterdaten und eventueller oder bestätigter Corona-Infektion.

Update: Der Lockdown ist eingeführt und jetzt werden die Stimmen lauter, die Situation so schnell wie möglich zu beenden. Dafür müsste man allerdings endlich das „Bedenkenträgertum“ beenden und Zugriff auf Bewegungsdaten erhalten (siehe unter anderem hier). Nachdem der Passus zur Verwendung von Handydaten zur Überprüfung der Quarantäne und „Warnung“ möglicher Kontaktpersonen aus dem letzten Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Spahn gestrichen wurde, mahnen jetzt andere Unionspolitiker die Nutzung solcher Daten an. Dabei ist die Handyortung über die Funkzellen der Handymasten viel zu ungenau, um präzise Kontaktketten zu erstellen; dafür allerdings ein massiver Eingriff in die Bürgerrechte. Im Raum steht auch die Einführung einer App aus Südkorea, die über Bluetooth die nächstgelegenen Handys erfasst und Warnungen verschicken kann; allerdings kann auch hier über die Verknüpfung zur Handy-ID die Ortung von Menschen erfolgen. Es bleiben also massive Eingriffe in die Privatssphäre bei unklarem Nutzen und dies werden nicht die letzten Vorschläge/Versuche zur Lockerung der Datenschutzbestimmungen bleiben. Der Datenschutzverein „Noneofyourbusiness (noyb)“ hat diesem Thema jetzt auch einen kleinen Blogbeitrag und ein Paper mit Bewertungen zu verschiedenen Vorschlägen gewidmet (siehe hier).

In diesem Sinne: Datenschutz und Gesundheitsschutz sind kein Widerspruch! Die Datenschutzgrundverordnung sieht jetzt schon genügend Öffnungsklauseln vor, um im Krisenfall die ausreichende Informationsversorgung der zuständigen Behörden sicherzustellen. Versuche von Personen und Firmen, die aktuelle Panik auszunutzen, um weitere Datenzugriffsrechte zu etablieren, müssen auch als solche benannt werden, um die Verunsicherung bezüglich ausreichendem Gesundheitsschutz auszuräumen.

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