Der große Feldversuch

„Dem Digitalen gehört die Welt“, „Daten sind das neue Öl“, „Fortschritt und Wirtschaftswachstum durch Digitalisierung“; so oder ähnlich lauten die Schlagzeilen, die man häufig liest und hört. Dabei hat man jedoch häufig den Eindruck, dass diese Parolen, erstens gar nicht so gelebt werden. Zweitens weiß keiner so genau, wohin die Reise eigentlich gehen soll und es ist auch nicht klar, was konkret gebraucht und gefördert werden soll und was eben nicht. Die Aussagen sind also mehr aus Hoffnung, denn aus Gewissheit geboren.

Die Digitalisierung soll uns helfen, Probleme, die teilweise durch das bisherige Wirtschaften erst entstanden sind, zu beheben ohne dass wir grundsätzlich etwas an unserem Verhalten ändern müssten. Zugleich soll natürlich die Effizienz dadurch gesteigert werden, die Gesellschaft näher zusammenrücken, die Kommunikation verbessert und vereinfacht werden. Zusätzlich sollen dadurch Krankheiten noch besser behandelt bzw. verhindert werden können und der Umweltschutz weiter voran getrieben werden und und und. Die Hoffnungen und Verheißungen sind also riesig und dazu kommt noch eine Goldgräberstimmung; viele erwarten bei dem nächsten großen Ding das Geschäft des Lebens. Das ist, wie man an den früheren Startups Facebook & Google sieht, ja auch nicht ganz unberechtigt.

Mir kommt das manchmal so vor wie Mitte der 50er/Anfang der 60er als die Atomkraft das Allheilmittel schlechthin schien; sämtliche Energieprobleme ließen sich somit ohne direkte Schadstoffemission lösen. Es gab Visionen, von atomkraftgetriebenen Lufttaxis, Schiffen etc. quasi die ganze Mobilität wurde mit Atomkraft gedacht. Die Vorteile wurden groß hervorgehoben (Unabhängigkeit von anderen Staaten, Saubere Luft, wenig Flächenverbrauch…). Die Nachteile sind dagegen eher klein geschrieben worden oder wie in Bezug auf die Reaktorsicherheit als Bedenkenträgerei abgetan worden. Dabei weiß man heute nach über 50 Jahren Nutzung immer noch nicht, wohin mit dem Atommüll.

Und heute? Beim Thema Digitalisierung passiert gefühlt genau dasselbe wieder. Die Vorteile werden klar kommuniziert, aber über die Probleme, die dabei entstehen könnten, wird nicht so laut gesprochen. Es weiß schlussendlich auch keiner so genau eine Antwort auf einige Fragen, wie zum Beispiel:

  • Wie wirkt die dauerhafte elektromagnetische Strahlung mit dieser Energiedichte (WLAN/Bluetooth/GSM/UMTS/LTE/5G) auf den Körper und die Gesundheit?
  • Besteht überhaupt die Notwendigkeit alles zu digitalisieren, um bessere Erfolge zu erzielen (z.B: Schulen und Klassenzimmer für besseres Lernen)?
  • Wie wirkt die Vernetzung und das Internet auf unsere Gesellschaft und den einzelnen Menschen psychisch?
  • Wird unsere Kommunikation dadurch besser bzw. kann digitale Kommunikation analogen Austausch ersetzen oder verbessern?
  • Nehmen Menschen digitale Helfer statt menschlicher Unterstützung (z.B: Pflege) überhaupt an und vertrauen der Technik (autonome Fahrzeuge)?
  • Wie wirkt die Informationsflut auf Kinder und Jugendliche?

Zu vielen Punkten gibt es noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Untersuchungen, trotzdem wird das Thema politisch stark unterstützt. So viel zum Vorsorgeprinzip, dass sich die europäischen Länder als Abgrenzung zu den USA auf die Fahnen schreiben. Beispiel 5G: Die Einführung von 5G soll zwar wissenschaftlich begleitet werden. Der Flächenrollout wird aber mit Sicherheit nicht warten, bis valide Ergebnisse der Wissenschaftler vorliegen. Erste Ergebnisse werden mit Sicherheit noch einige Jahre auf sich warten lassen müssen, um Langzeitwirkungen überhaupt messen zu können. Wer sich für dieses Thema stärker interessiert, kann sich auf den Seiten der Bürgerinitiative „Diagnose Funk“ umschauen.

Wir sind also alle Teil eines großen Feldversuchs mit offenem Ausgang und erst in ein paar Jahrzehnten wird man wissen, ob es irgendwelche (negativen) Einflüsse auf uns gibt und welche. Aktuell sieht man bereits, dass bezüglich der Kommunikation nicht alles so toll ist, wie behauptet und unsere Gesellschaft neue Regeln für Onlinekommunikation und Faktenprüfung/Filterblasen braucht.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich finde nicht, dass Digitalisierung per se schlecht oder gut ist. Es gibt sicherlich einige Bereich, wo Digitalisierung uns (als Gesellschaft) weiterbringen kann. Dennoch fehlt mir eine ehrliche Diskussion über Vor- und Nachteile/Risiken und auch über die tatsächliche Notwendigkeiten zur Digitalisierung verschiedener Bereiche. Stattdessen wird eine Alternativlosigkeit suggeriert, die in meinen Augen derart gar nicht existiert. Nicht nur unsere Gesellschaft muss sich insgesamt fragen, welche Digitalisierung realistisch und gewünscht ist. Auch jeder einzelne sollte für sich definieren und auch in die Lage versetzt werden zu entscheiden, was er wirklich braucht und nutzen möchte. Wenn man sich die Strategie mancher Firmen ansieht, wird es einem ohne digitales Endgerät mit entsprechender Software (Android oder Ios) zunehmend schwer gemacht die Dienstleistung zu erhalten, die man als Kunde wünscht. Nicht nur das damit ganze Bevölkerungsgruppen (z.B. Ältere) ausgeschlossen werden, sondern auch, dass eine Abhängigkeit von einigen wenigen Systemen geschaffen wird, die wiederum von Kriminellen gezielt genutzt werden kann.

In diesem Sinne: Digitales betrifft uns alle, aber bisher sind vor allem viele Versprechungen im Umlauf. Umso wichtiger ist es, dass jeder sich selbst und mit anderen kritisch hinterfragt, was für Konsequenzen die komplette Digitalisierung haben könnte und wo es für einen selbst oder insgesamt überhaupt notwendig und sinnvoll ist.

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